Die meisten Menschen in der Gesellschaft benötigen keine Hilfe, um die eigene Muttersprache zu erwerben, mit der sie dann mit anderen kommunizieren können. Bei anderen erfolgt der normale, automatische Spracherwerb wegen irgendeiner Barriere nicht ohne gezielte Unterstützung.
Diese Barriere kann der eigene Hörstatus sein. Die meisten hörbehinderten Kinder haben hörende Eltern bzw. Erziehungsberechtigte (auch in der Einzahl zu verstehen, im Folgenden nur „Eltern“), die sich vor der Geburt ihres hörbehinderten Kindes nie mit der Gebärdensprache befasst haben. Diese Kinder nehmen die akustischen Signale der Lautsprache ihrer Eltern nicht wahr und können diese Sprache ohne extrem viel Mühe – von beiden Seiten – nicht lernen. Eine rein lautsprachliche Erziehung bedeutet für Taube und andere Menschen mit Hörbehinderungen fast immer einen verspäteten Spracherwerb, und sehr oft leiden Menschen mit Hörbehinderungen ein Leben lang an den kognitiven und psychischen Folgen von sprachlicher Deprivation in den frühen Jahren sowie die oft verheerenden Auswirkungen auf ihre Bildung. Die erfolgreichste Möglichkeit, die Folgen der sprachlichen Deprivation zu vermeiden, ist es, dem hörbehinderten Kind viel Kontakt mit einer Gebärdensprache zu gewähren. Gebärdensprachen, wie hierzulande die Deutsche Gebärdensprache (DGS), sind natürlich entstandene, vollwertige Sprachen und dank ihrem visuellen Modus für hörbehinderte Kinder völlig zugänglich. Studien beweisen, dass der Erwerb einer Gebärdensprache den späteren Erwerb der ländlichen Laut- und Schriftsprache nicht behindert, wie viele es fälschlicherweise behaupten, sondern im Gegenteil unterstützt. Am wichtigsten ist es, dass Kinder eine Sprache während der sogenannten kritischen Periode der ersten Jahre erlernen.
Das Jugendamt hat daher die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass nicht nur die hörbehinderten Kinder selbst die Gebärdensprache erwerben können, sondern auch ihre Eltern. (Siehe unten: Gesetzliche Grundlagen!) Einem Kind würde es schließlich nichts nützen, wenn es alleine eine Sprache könnte, jedoch mit den eigenen Eltern nicht kommunizieren könnte. Die fließende und barrierefreie Kommunikation zwischen Kind und Eltern ist für die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung eines Kindes unentbehrlich und daher benötigen die Eltern hörbehinderter Kinder gute Gebärdensprachkompetenzen, um ihren elterlichen Pflichten nachzukommen. Diese werden durch die Kostenübernahme seitens des Jugendamtes für einen Hausgebärdensprachkurs gesichert.
Hörende Kinder von tauben Eltern sowie taube Kinder von tauben Eltern lernen in der Regel die Gebärdensprache der Eltern ganz normal als Muttersprache, genauso wie die meisten hörenden Kinder die Lautsprache der Eltern ohne Mühe lernen. Manchmal kommt es trotzdem zu Problemen, z.B. wenn der Kontakt zum einen oder anderen Elternteil über einen längeren Zeitraum abgebrochen wurde. In diesen Fällen übernimmt das Jugendamt die Kosten eines Hausgebärdensprachkurses, damit die Kinder die Sprache der Eltern beherrschen, was wiederum den Eltern ermöglicht, ihre Fürsorge wahrzunehmen und für die gesunde psychosoziale Entwicklung des Kindes zu sorgen.
Die Barrieren, die einem beim Erwerb einer Muttersprache hinderlich sein können, können auch kognitive Einschränkungen sein, oder auch andere Störungen. Einige Beispiele davon sind gewisse Fälle von Autismus oder Trisomie-21 (Down-Syndrom). In vielen von diesen Fällen haben die Betroffenen viel mehr Erfolg mit dem Erwerb von Gebärdensprache als einer Lautsprache. Mit der verbesserten Fähigkeit zur Kommunikation wächst die Lebensqualität des Betroffenen. Insofern es sich hier um Kinder oder Jugendliche (von 0 null 17 Jahren) handelt, ist das Jugendamt für die Kostenübernahme eines Hausgebärdensprachkurses zuständig. Bei Erwachsenen ist das sogenannte „Sozialamt“ (die Behörde, die für soziale Angelegenheiten verantwortlich ist) für die Kostenübernahme eines Gebärdensprachkurses zuständig.
Weitere Probleme beim Spracherwerb unter Erwachsenen treffen z.B. spät ertaubte Menschen, die keine Gebärdensprache können, sie jedoch benötigen, um mit anderen Menschen zu kommunizieren. Ein anderes Beispiel sind Gehörlose, die rein lautsprachlich erzogen wurden, keine Gebärdensprache beherrschen und demzufolge immer wieder Schwierigkeiten mit der Kommunikation haben.
Bei einem Gebärdensprachkurs liegt das ausdrückliche Ziel darin, dass die teilnehmenden Personen dazu ermächtigt werden, eigenständig in der Gebärdensprache zu kommunizieren, indem sie praktische Gebärdensprachkenntnisse erwerben. Genauso wie beim Unterricht in anderen Sprachen genügt nicht nur das bloße Erlernen des theoretischen Wissens, sondern das Gelernte muss durch wiederholte Übungen verinnerlicht werden. Dabei müssen sowohl produktive (eigenes Gebärden) als auch rezeptive (Verständnis, wenn andere gebärden) Fähigkeiten trainiert werden.
Ein Hausgebärdensprachkurs ist ein Gebärdensprachkurs, der bei den Lernenden zu Hause stattfindet. Für Familien mit Kindern wäre es sehr oft logistisch schwierig, die Teilnahme an einem Gebärdensprachkurs außerhalb des Familienhauses zu organisieren. Ein weiterer Vorteil des Gebärdensprachunterrichts innerhalb der eigenen vier Wände besteht darin, dass der Inhalt der täglichen Kommunikation häufig mit den Räumen und Gegenständen in der Wohnung zusammenhängt. Objekte können im Unterricht verwendet oder man kann einfach auf sie zeigen, wie es in einem Klassenzimmer selten möglich ist. Auf diese Weise sind die Themen, die für die Familie besonders am Anfang am nützlichsten sind, leicht zu erlernen und zu merken.
Gebärdensprachkurse inkl. Hausgebärdensprachkurse werden von qualifizierten Gebärdensprachdozent:innen bzw. –lehrer:innen durchgeführt. Ihre Aufgaben und Pflichten wurden im 2004 verfassten Berufsbild beschrieben, welches Sie hier finden können. Gebärdensprachkurse werden nicht von Dolmetscher:innen, Kommunikationsassistent:innen, -helfer:innen, Sozialarbeiter:innen, Erzieher:innen, oder anderen durchgeführt, egal wie gut ihre Gebärdensprachkompetenzen sind. Im Berufsbild wird ferner „möglichst gehörlos“ unter den persönlichen Voraussetzungen festgelegt. Hörende, die gebärden können, identifizieren sich nicht hundertprozentig mit der DGS-gebärdenden Sprachgemeinschaft. Es kommt auch sehr selten vor, dass Hörende so tiefe Gebärdensprachkenntnisse haben wie Gehörlose, auch wenn es sich um CoDAs handelt (Children of Deaf Adults, Hörende, die taube Eltern haben). Beim Gebärdensprachunterricht ist es zudem notwendig, über die Barriere und Herausforderungen aufzuklären, mit denen sich Hörgeschädigte konfrontiert sehen. Das ist z.B. sehr wichtig für Eltern von hörbehinderten Kindern, die solche Probleme von vornherein nicht kennen und nicht wissen, wie man damit umgehen soll. Hörende haben in dieser Hinsicht keinen ausreichenden persönlichen Bezug zu diesen Problemen. Es gibt außerdem keine Ausbildungen zum:zur Gebärdensprachdozenten:in bzw. –lehrer:in, die für Hörende konzipiert sind.
Nur in Fällen, in denen z. B. aufgrund der geographischen, weiten Entfernung von einer Großstadt kein:e qualifizierte:r hörgeschädigte:r Gebärdensprachdozent:in bzw. –lehrer:in zur Verfügung steht, kann ein Gebärdensprachkurs von einer anderen Person durchgeführt werden. Diese Person muss allerdings hervorragend gebärden können. Es gibt für die aktuelle Nachfrage nach Gebärdensprachkursen in Berlin und Brandenburg genügend qualifizierte Gebärdensprachdozent:innen bzw. –lehrer:innen. Die Kontaktdaten für viele von ihnen befinden sich unter https://www.kestner.de/n/elternhilfe/liste/gebaerdensprachkurs-liste1.htm#Berlin und https://bgdbb.de/liste/. Diese Liste ist jedoch nicht vollständig. Für Brandenburg gibt es Gebärdensprachdozent:innen bzw. -lehrer:innen. Falls Sie eine:n Dozenten:in für Brandenburg suchen und keine:n finden, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf. Wir helfen Ihnen gerne, eine:n qualifizierte:n Dozenten:in zu finden.
Gebärdensprachdozent:innen und -lehrer:innen sind speziell ausgebildet und arbeiten professionell und werden dementsprechend für ihre Arbeit vergütet.
Ein Video in DGS mit dem Inhalt dieses Textes ist noch in Bearbeitung.
Aktuell entsprechen die vom BDG empfohlenen Vergütungen für Gebärdensprachdozent:innen und -lehrer:innen den in der folgenden Tabelle aufgeführten Kostensätzen. Eine Unterrichtseinheit (UE) kann 45 Minuten oder 60 Minuten betragen.
UE = 45 Minuten
UE = 60 Minuten
1 UE
56,25 €
75,00 €
2 UE
112,50 €
150,00 €
Hinzukommend werden auch die Fahrtkosten und die Fahrtzeit vergütet. Die Fahrtzeit hängt selbstverständlich von der tatsächlichen Fahrtdauer ab und wird mit 1,25 Euro pro gefahrener Minute vergütet. Die Fahrtkosten betragen zudem 30 Cent pro gefahrenem Kilometer.
Gesetzliche Grundlagen:
27 SGB VIII – Hilfe zur Erziehung
35a SGB VIII – Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche
41 SGB VIII – Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung
54 SGB VIII – Erlaubnis zur Übernahme von Vereinsvormundschaften
77 SGB VIII – Vereinbarungen über die Höhe der Kosten (in Verbindung mit § 53 SGB X – Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages)
76 SGB IX – Leistungen zur Sozialen Teilhabe§ 99 SGB IX – Leistungsberechtigter Personenkreis (in Verbindung mit § 53 SGB XII – Leistungsberechtigte und Aufgabe; und §§ 1 bis 3 der Eingliederungshilfe-Verordnung)
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